Dresdner Juristenprozess

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Der Dresdner Juristenprozess, früher zeitgenössisch teilweise auch Dresdner Richterprozess 1947 war ein juristischer Prozess gegen sieben sächsische Richter und Staatsanwälte, die wegen Unrechtsurteilen während des Nationalsozialismus (NS) angeklagt waren. Dabei handelte es sich um das erste und bezogen auf die Anzahl der Angeklagten, das größte Verfahren gegen NS-Juristen vor einem deutschen Gericht. Der Nürnberger Juristenprozess gegen hochrangige Juristen des NS-Regimnes fand teilweise parallel vor einem alliierten Gericht statt.

Im Dresdner Juristenprozess erhielten die Angeklagten vor dem Schwurgericht des Landgerichts Dresden zunächst relativ niedrige Haftstrafen. Diese Urteile wurden in einem Folgeprozess 1948 revidiert, nachdem die SED die Urteile in mehreren Tageszeitungen angeprangert und öffentlich verunglimpft hatte. Dabei wurde auch gegen den Rechtsanwalt Dr. Fritz Glaser vorgegangen, dessen Eltern beide jüdisch waren. Glaser als Pflichtverteidiger der NS-Richter wurde in der Folge der Status als Verfolgter des Faschismus aberkannt.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Vorgeschichte

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges musste die bisherige nationalsozialistische Justiz ihren Dienst in den Gerichten einstellen. In Dresden gab es ab Juni 1945 einen Beauftragten für den Wiederaufbau der Justiz. Das Amt des Vizepräsidenten der Landesverwaltung Sachsen für Justiz und Gesundheit übernahm der Liberaldemokrat Reinhard Uhle. Mit dem SMAD-Befehl Nr. 49 am 4. September 1945 wurde das frühere 3-stufige deutsche Gerichtswesen wieder installiert. Allerdings waren von über 1.000 vor Kriegsende tätigen Richtern und Staatsanwälten im Oktober 1945 nur noch 160 beruflich tätig. Meitere 70 unbelastete Juristen, teilweise aus der Zeit vor 1933 unterstützten den Aufbauprozess. Volksrichterkurse sollten daher dem Personalmangel entgegenwirken. Bereits im September 1945 standen im sogenannten Radeberger Nazi-Prozess gegen Wachpersonal der Gefangenenanstalt Dresden vor einem sogenannten Volksgericht. Auch wenn das Gericht dem „Volksankläger“ und spätere SED-Funktionär Ernst Lohagen nicht bei allen fünf Angeklagten bei der Verhängung der Todestrafe folgte, wurden drei Todesurteile zwei Tage nach dem Urteil eilig vollzogen, ohne eine Revision zuzulassen.

[Bearbeiten] Juristenprozess

Der Prozess begann am 27. Mai 1947[1] in Dresden. Angeklagte im Dresdner Juristenprozess wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, von denen einige bereits seit 1945 in Untersuchungshaft waren, waren:

Allerdings musste die Staatsanwaltschaft im Dresdner Juristenprozess zugeben, dass die Hauptverantwortlichen für Unrechtsurteile, der Generalstaatsanwalt für den NS-Gau Sachsen, Heinz Jung († 1959 in Köln)[4] und der Präsident des Oberlandesgerichts Rudolf Beyer nicht unter den Angeklagten befanden, weil sie sich der Verhaftung durch die Flucht in die westlichen Besatzungszonen entzogen hatten. Somit waren die Angeklagten nicht die wirklichen hohen NS-Juristen, denen man die nationalsozialistische „Blutjustiz“ nachweisen wollte. Außerdem konnte nur ein sehr geringer Teil der 1.285 Hinrichtungen von 1933 bis 1945 den Angeklagten wirklich persönlich zur Last gelegt werden.

Der Generalstaatsanwalt von Sachsen, John Ulrich Schroeder hatte gegen die sechs Juristen bereits im Januar 1946 die Anklageschrift erstellt. Die sowjetische Militäradministration verzögerte aber den Beginn des Prozesses und gab die Akten erst im Februar 1947 wieder an die Staatsanwaltschaft zurück. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten die Beschuldigten keinen Anwalt konsultieren, weil gegen sie noch keine Anklage erhoben worden war. Aufgrund der Gesundheitszustände der Angeklagten Schulze und Mueller entschied das Oberlandesgericht Dresden zwar auf eine Entlassung aus der Untersuchungshaft, allerdings wies die sowjetische Militäradministraion im Mai 1947 an, bis auf Weiteres alle Häftlinge, die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt waren, dass diese aufgrund eines ärztlichen Gutachtens nicht entlassen werden dürfen.

Obwohl nur in drei Fällen ergaben sich konkrete Anhaltspunkte für eine persönliche Schuld der Angeklagten. Trotzdem forderte der für diesen Prozess zuständige Staatsanwalt Heinz Fröbel für alle Beschuldigten die Todesstrafe. Den Vorsitz beim Prozess hatte der Senatspräsident Dr. Fritz Köst. Das Gericht berücksichtigte im Urteil neben dem eigentlichen Tatbestand auch die unterschiedliche Parteimitgliedschaft in der NSDAP, die Funktion im nationalsozialistischen Justizsystem und die Länge der Mitarbeit. Damit wurden im ersten Hauptprozess Strafen zwischen einem Jahr und zwei Monaten und beim schärften Urteil, sechs Jahre Zuchthaus verhängt.

Auf das Urteil gab es in den damaligen Zeitungen unterschiedliche Reaktionen. Während das liberaldemokratische „Dresdner Tageblatt“ die Strafen unter der Überschrift „Humanes Urteil im Dresdner Juristenprozess“ veröffentlichte, schrieb die Sächsische Zeitung über „empörend niedrige Urteile“ und dass die „Menschlichkeit niedrig im Kurs“ gestanden habe. Daraufhin plante die sächsische KPD Protestveranstaltungen, um den „Volkszorn“ aufgrund der aus ihrer Sicht zu milden Urteile anzufachen.

[Bearbeiten] Folgeprozess

Obwohl die Höhe der durch das Gericht verhängten Strafen auf dem Weg der Revision normal nicht nachzuprüfen war, wurden auf Antrag der Staatsanwaltschaft sämtliche Urteile durch das Oberlandesgericht (OLG) Dresden am 7. November 1947 in der Strafhöhe zurückgenommen und an die erste Instanz für ein Wiederaufnahmeverfahren zurückverwiesen.

Der Folgeprozess fand vor der Großen Strafkammer des OLG Dresden statt, wobei Fritz Köst wiederum den Vorsitz hatte. Ohne neue Beweise wurden im neuen Verfahren gegen nur noch vier verhandlungsfähige NS-Juristen die Strafmaße aufgrund der Forderungen aus der SED deutlich erhöht. In der Zwischenzeit war Erich Härtel an den Haftfolgen bereits 1947 verstorben. Der Prozess gegen Richard Schulze wurde wegen dessen Krankheitszustand abgetrennt. Die Angeklagten erhielten nun folgende, endgültige Strafen:

Frühere mildernde Umstände wurden diesmal nicht anerkannt. Mitte der 1950er Jahre wurden die Verurteilten aus der Haft entlassen. Danach gingen sie nach Westdeutschland. Erich Anger arbeitete in der Bundesrepublik weiter in der Justiz, in Essen wurde er Erster Staatsanwalt.

[Bearbeiten] Trivia

Bis 1950 wurden in der sowjetischen Besatzungszone - abgesehen vom Dresdner Juristenprozess - weitere fünf NS-Juristen angeklagt. Dabei wurden Strafen zwischen zwei und sieben Jahren Gefängnis verhängt. In weiteren Prozessen bis 1989 wurden vier weitere Juristen verurteilt, dann allerdings mit Strafen von bis zu 15 Jahren Gefängnis, letzteres 1982 gegen den NS-Juristen Erich Geißler, Ermittlungsrichter ehemaligen Volksgerichtshof.

Da der Dresdner Juristenprozess später in Vergessenheit geriet und auch in Fachkreisen wenig bekannt war, erstellten 16 Schülerinnen und Schüler des Hans-Erlwein-Gymnasiums 2010 mit selbstgedrehten Filmmaterial eine einstündige Dokumentation über den Prozess und seine Folgen. Sie recherchierten bei Zeitzeugen, in Quellen des Sächsischen Staatsarchivs, beim MDR und im deutsch-russischen Kulturinstitut. Die Arbeit wurde 2011 vom Bundespräsidenten ausgezeichnet und rückte somit wieder ins Licht der Öffentlichkeit. Grundlage war eine Dissertation von Christian Meyer-Seitz zum Thema „Die Verfolgung von NS-Straftaten in der Sowjetischen Besatzungszone“.[5]

[Bearbeiten] Quellen

[Bearbeiten] Einzelnachweise

  1. ND vom 30. Mai 1947, Seite 2.
  2. Grabstätte auf dem Dresdner Johannesfriedhof, s.a. Benutzer:Paulae/Grabstätten
  3. Nazijuristen unter schwerer Anklage, Tageszeitung „Neues Deutschland“ vom 22. Mai 1947, S. 2, [page=2 Digitalisat] im DFG-Viewer, Anmeldung erforderlich.
  4. Gefangenenanstalt „Mathilde“, Onlineartikel auf https://gedenkplaetze.info.
  5. Stefan Jehne: NS-Juristen vor Gericht. Der Dresdner Juristenprozess von 1947, Lesevorschau auf www.degruyterbrill.com.

[Bearbeiten] Weblinks

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