Gottfried Reinhardt

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Gottfried Reinhardt (* 30. Mai 1935 in Dresden; gest. 23. Juni 2013 in Dresden), war ein deutscher Architekt, Maler, Grafiker, Trickfilmgestalter, Bühnenbildner, Puppenspieler und einziger deutscher Diakon an der russisch-orthodoxen „Kirche des Heiligen Simeon vom wunderbaren Berge“ in Dresden.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Herkunft

Gottfried Reinhardt wurde am 30. Mai 1935 in Dresden als jüngster Sohn eines Zigarettenmaschinenverkäufers geboren und in der Frauenkirche evangelisch getauft.

Als Neunjähriger erlebte er im Februar 1945 das Brennen seiner Heimatstadt und verlor damit nach einem späteren Bekenntnis den Glauben an die Akzeptanz weltlicher Ordnungsmacht.

“Da war für mich völlig klar, daß man allen Dingen skeptisch gegenübertreten muß, vor allem dem gegenüber, was die Institutionen sagen,” erinnerte sich Reinhardt 1996.[1]

Er wuchs in Loschwitz auf, wo er bis zu seinem Hauskauf in Obergruna im Jahre 1986 auch lebte.

[Bearbeiten] Ausbildung

Gottfried Reinhardt besuchte die Erweiterte Oberschule (EOS), die in der DDR zum Abitur führte. Sein Jugendtraum war es, dauerhaft als Bühnenbildner am Theater oder an der Oper zu wirken.

Ohne jede Lust dazu absolvierte er als künstlerisch veranlagter Mensch ab etwa 1955 ein Studium der Architektur an der Technischen Hochschule Dresden (heute Technische Universität) und machte 1961 mit 26 Jahren sein Diplom. Schon als Architekturstudent pflegte er umfangreiche Kontakte zur großen antiakademischen Kunstszene in Dresden.

[Bearbeiten] Konversion zur katholischen Kirche

Er verließ als Student die evangelische Kirche, nahm an Veranstaltungen der Katholischen Studentengemeinde teil und konvertierte schließlich zum Katholizismus. Im römisch-katholischen Milieu von Dresden konnte er sich künstlerisch entfalten.

Allerdings machte er schnell die Erfahrung, "vom Regen in die Traufe" gekommen zu sein. Innerhalb weniger Jahre musste er zahlreiche Erfahrungen von Willkür und Machtmißbrauch machen, welche ihn zu einer Beschäftigung mit dem Hintergrund der römisch-katholischen Kirche animierten.

Als er dabei erkannte, dass der Katholizismus weltgeschichtlich mit seiner aggressiven Expansion, seinem Weltherrschaftsanspruch, seiner Inquisition, seinen Genoziden etc. verheerender war als der Kommunismus, verließ er die Institution römisch-katholische Kirche schneller, als er ihr beigetreten war und fand schon am Ende seines Architektur-Studiums in der Orthodoxie ("Rechtgläubigkeit") eine Heimat für seine Christlichkeit. Die Orthodoxie sieht in der römisch-katholischen Kirche eine Heterodoxie, eine Häresie (Irrlehre). Mit dieser Anschauung erklärte sich für ihn das Verhalten des Katholizismus.

Seine Skepsis gegenüber Institutionen und "was sie sagen" hatte sich wieder einmal bewahrheitet.

[Bearbeiten] 1961: Trickfilmgestalter und Bühnenbildner

Er arbeitete nicht einen Tag als Architekt, sondern war noch einige Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Architektur und erhielt durch seine Kontakte in die antiakademischen Dresdner Kunstszene die Chance, als Gestalter für das DEFA-Studio für Trickfilme in Dresden und als Bühnenbildner für die sächsischen Stadttheater in Bautzen, Freiberg, Zittau und zuletzt in Görlitz zu arbeiten.

[Bearbeiten] 1961: Orthodoxe Erfahrungen

Ebenfalls seit 1961 besuchte Gottfried Reinhardt regelmäßig die Gottesdienste der Orthodoxen Kirche in Dresden und lernte die Orthodoxie und den orthodoxen Gottesdienst lieben. Seit dieser Zeit wurde der Dienst in der orthodoxen Kirche zu seinem wichtigsten Lebensinhalt.

[Bearbeiten] 1966: Übertritt zur Russisch-Orthodoxen Kirche

Nach fünfjährigem Mitvollziehen der orthodoxen Liturgie trat Gottfried Reinhardt der Russisch-Orthodoxen Kirche bei.

Dies eröffnete ihm in Dresden auch völlig neue Möglichkeiten und Freiheiten. Er erinnerte sich rückblickend:

“Die russische Kirche galt hier als Kirche eines Siegerstaates, das hat man natürlich auch als Aushängeschild benutzt, wie tolerant und großzügig man ist.”[2]

[Bearbeiten] 1972: Selbstständigkeit und Puppenspieler

1972 machte sich Gottfried Reinhardt in Dresden selbstständig und war seitdem freischaffend als Trickfilmgestalter und Bühnenbildner tätig, bezeichnenderweise ab dem Jahr, in welchem nach dem Sturz von Walter Ulbricht der neue Staatsratsvorsitzende Erich Honecker fast jede Selbständigkeit in der DDR beseitigte.

Ende Dezember 1972 gründete er nach frustrierenden Erfahrungen mit dem "Menschentheater" seine eigenen Puppenbühne, denn hier lagen alle Teile des Inszenierungsprozesses - vom Bühnenbild über die Handpuppen, die Bühnentechnik, den Text, die Regie und das Spiel - in seiner Hand. Er schrieb die Szenarien, fertigte die Puppen an und führte auch das Spiel in seiner selbstgefertigten Guckkastenbühne selbst durch.

Da er mit seinen kritischen Texten außerhalb der offiziellen Kultur-Szene der DDR stand, mussten Privatwohnungen, Ateliers und kirchliche Räume als Spielstätten herhalten. Aber dennoch oder gerade deswegen waren seine Puppenspiele beim Publikum sehr beliebt und wurden bald legendär.

Ende Dezember 1972 stellte er erstmals sein selbstgezimmertes Puppenbühnenhaus in der Schinkelwache auf, welche damals die Außenstelle des Institutes für Theater und Kulturbauten beherbergte. Dort stellten ihm zwei ehemalige Kommilitonen ihre Büroräume zur Verfügung. Gottfried Reinhardts selbstverfaßte Kurzstücke “Die Hochzeit im Spreewald” und “Don Giovanni” wurden bei der Premiere mit tosendem Beifall aufgenommen. Bei der privaten Aufführung war der bekannte Puppenspieler Herbert Ritscher zugegen, einer der letzten Nachfahren des sächischen Wandermarionettentheaters.

Im Laufe der Jahre entstanden 16 Puppenspiele voller Witz und Anspielungen. Gottfried Reinhardt spielte griechische Tragödien, sächsische Schwänke, groteske Genremischwerke und große Opernstoffe wie

Weitere Stücke von Gottfried Reinhardt sind:

sowie kurze, halbimprovisierte Nachspiele wie etwa

Mittlerweile sind auch alle gedruckt und die privaten Mitschnitte seiner Puppentheateraufführungen sind archiviert worden.

[Bearbeiten] 1974: Lektor in der Dresdener russisch-orthodoxen Kirche

1974 wurde Gottfried Reinhardt vom gleichaltrigen Erzbischof von Berlin (West und Ost) und Mitteleuropa sowie Patriarchalexarchen für Mitteleuropa, Filaret von Minsk und Sluzk[3] (* 21. März 1935 in Moskau; † 12. Januar 2021 in Minsk), zum Lektor (Psalmleser) in der Dresdener russisch-orthodoxen Kirche bestellt. Reinhardt, der sowohl im Abitur als auch im Studium die russische Sprache gelernt hatte, konnte diese Fähigkeit in den dreizehn Jahren seiner Zugehörigkeit zur russisch-orthodoxen Gemeinde so weit vervollkommnen, dass er als deutscher Muttersprachler für diesen Dienst befähigt war.

[Bearbeiten] Ab 1977 (bis 1987): Fernstudium an der Moskauer Geistlichen Akademie

Ab 1977 absolvierte er an der Moskauer Geistlichen Akademie zehn Jahre lang ein Fernstudium der orthodoxen Theologie in Sagorsk und vervollkommnete insbesondere sein Wissen über das alte Kirchenslawische, der Liturgiesprache (Sakralsprache) der russisch-orthodoxen Kirche. Er lernte von kaum lesbaren Schreibmaschinen-Durchschriften vor allem russische liturgische Texte und russische Hagiographie, die Geschichte der Heiligen.

Die Moskauer Geistliche Akademie befindet sich im Goldenen Ring, einem weitläufigen Gebiet altrussischer Städte nordöstlich von Moskau, im Dreifaltigkeitskloster von Sergijew Possad, „Possad des Heiligen Sergius (von Radonesch)“, auch Kloster Possad genannt (71 km von Moskau). Von 1930 bis 1991 war Sergijew Possad zu Ehren des 1919 gestorbenen Revolutionärs Wladimir Sagorski (eigentlich Wladimir Lubozki) in Sagorsk umbenannt worden.

[Bearbeiten] 1978: Weihe zum russisch-orthodoxen Diakon

Schon nach zwei Fernsemestern erfolgte Ende 1978 die Weihe zum Diakon durch den Erzbischof von Berlin (West und Ost) und Mitteleuropa sowie Patriarchalexarchen für Mitteleuropa, Melchisedek, seit dem 11. Oktober 1978 Nachfolger von dem nach Minsk berufenen Metropoliten Filaret. Dadurch konnte Gottfried Reinhard bereits in der Weihnachtszeit 1978 auch diakonischen liturgischen Dienst verrichten.


[Bearbeiten] 1986: Kauf eines Bauernhauses in Obergruna

Die seit 1976 angewandten Zersetzungsmaßnahmen der Staatsmacht zeigten mit der Ausreisewelle ab 1984 insbesondere aus Dresden effiziente Wirkung. Durch diesen Aderlass verlor die Loschwitzer Künstlerboheme-Szene enorm an Kraft und Vitalität. Der Druck auf den verblieben Rest ("Der Doofe Rest" = DDR) wuchs gewaltig.

Gottfried Reinhardt wich diesem unangenehmen Druck aus, indem er 1986 Loschwitz verließ, wo er vier Jahrzehnte gelebt hatte, und für 6.000 Ostmark auf Teilzahlung ein uraltes Bauernhaus in Obergruna (5 km südlich von Nossen) erwarb. Obergruna gehörte damals zum Kreis Freiberg im Bezirk Karl-Marx-Stadt.

In dem alten windschiefen Fachwerkhaus am letzten Berghang des Vorerzgebirgsdörfchens lebte Gottfried Reinhardt allein, aber mit bis zu zehn Katzen. Er konnte dort die Lebensfreuden, die alle Kreaturen miteinander verbinden, direkt empfinden. Fortan wurde das Dorf Obergruna und seine Katzen zu einem bevorzugten Sujet seiner Malerei und Graphik.

In seinem Haus gab es kein fließend Wasser, und am wackligen Grundstückszaun befestigte Gottfried Reinhardt Aufrufe zum Langsamfahren an Autofahrer, die ohne Rücksicht auf seine Katzen die Dorfstraße herunterdonnerten, weswegen die Dörfler das offene Katzenhaus das “verrückte” nannten.

[Bearbeiten] 1990: Atelierleiter am Staatlichen Puppentheater Dresden

Die Wende und friedliche Revolution in der DDR ermöglichte ihm ab Anfang 1990 mit bereits 55 Jahren noch einige Jahre als Atelierleiter und Bühnenbildner am Staatlichen Puppentheater Dresden zu arbeiten. Er erlebte dort die Umwandlung zum Puppentheater Dresden und die Abwicklungsprozesse aus finanziellen Zwängen heraus, denen dann auch er zum Opfer fiel. Diese Jahre gaben dem Andersdenkenden aber auch eine neue soziale Sicherheit und noch einige wenige Rentenpunkte in seiner sonst mehr als durchwachsenen Erwerbsbiographie.

[Bearbeiten] 1995: Protodiakon und Altvater der Russisch-Orthodoxen Kirche zu Dresden

Im Jahr 1995 (mit 60 Jahren) wurde Gottfried Reinhardt von dem Berliner Erzbischof Feofan Galinskij zum Protodiakon der Russisch-Orthodoxen Kirche zu Dresden geweiht. Damit verbunden war auch die ehrwürdige Anrede Altvater.

[Bearbeiten] September 2008: Schlaganfall

Durch einen Schlaganfall im September 2008 war er nicht mehr in der Lage, Handpuppen zu führen und in seiner Guckkastenbühne hockend den letzten Applaus abzuwarten. Daraufhin musste er im Alter von 73 Jahren seine Tätigkeit als Puppenspieler aufgeben, durch die er seine magere Rente bis dahin aufbessern konnte. Zusätzlich waren Umbauten in seinem kleinen Fachwerkhaus in Obergruna notwendig, so schlief er nun im Untergeschoß in einem Kastenbett.

In dieser schweren Situation kümmerten sich der Bildhauer Prof. Helmut Heinze[4] und seine Frau, die Bühnen- und Kostümbildnerin Erika Simmank-Heinze[5], sowie deren Söhne mit Familien und vor allem auch die Zahnärztin Dr. Inka Reuther sowie viele Freunde um den alleinstehenden Künstler. Dieser fand dafür die Worte:

 »Die Liebe ist des Menschen größtes Licht,
und ist es noch so hell, es blendet nicht.«

[Bearbeiten] 2010: Schenkung an die Puppentheatersammlung Dresden

Nach der Einstellung des Spielbetriebes aus gesundheitlichen Gründen schenkte Gottfried Reinhardt im Jahr 2010, drei Jahre vor seinem Tod, der Puppentheatersammlung einen großen Teil seines Fundus sowie zahlreiche Entwürfe zu Theater- und Puppentheaterinszenierungen.

Mittlerweile liegen 297 Digitalisate der Sammlung bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden vor, die im Internet veröffentlicht sind.[6]

[Bearbeiten] 8. Oktober 2011: Kunstpreis der Großen Kreisstadt Radebeul

Am 8. Oktober 2011 wurde ihm für sein künstlerisches Werk und Wirken als Puppenspieler, Autor, Maler und Grafiker der Kunstpreis der Großen Kreisstadt Radebeul verliehen.

"Die Laudatio für Gottfried Reinhardt hielt Prof. Helmut Heinze. Das Abendprogramm wurde vom Chor der russisch-orthodoxen Kirche Dresden gesanglich mitgestaltet."[7]

Die Kunstpreistrophäe, ein mehrdeutiger Hermaphrodit, wurde von der Radebeuler Bildhauerin Gabriele Reinemer geschaffen.

[Bearbeiten] Tod und Begräbnis

Gottfried Reinhardt starb am 23. Juni 2013 in Dresden.

Die Abschiednahme und Totenmesse fanden am 2. Juli 2013 um 10 Uhr in der russisch-orthodoxen „Kirche des Heiligen Simeon vom wunderbaren Berge“ statt.

Die Beisetzung folgte um 14 Uhr auf dem Loschwitzer Friedhof.

[Bearbeiten] Quellen

[Bearbeiten] Anmerkungen

  1. Gottfried Reinhardt im Gespräch mit Claudia Petzold und Paul Kaiser, Obergruna, 5.12.1996.
  2. Gottfried Reinhardt im Gespräch mit Claudia Petzold und Paul Kaiser, Obergruna, 5.12.1996.
  3. Filaret von Minsk und Sluzk hatte das Amt des Erzbischofs von Berlin (West und Ost) und Mitteleuropa sowie des Patriarchalexarchen für Mitteleuropa vom 18. April 1973 bis 10. Oktober 1978 inne, seit dem 15. April 1975 im Range eines Metropoliten.
  4. Der Bildhauer Prof. Helmut Heinze lehrte von 1979 bis 1997 als Professor für Plastik an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Er zog nach der Emeritierung von Dresden nach Kreischa. Im Jahr 1961, in welchem Gottfried Reinhart sein Architektur-Diplom erhielt, erhielt Helmut Heinze einen Lehrauftrag für Aktzeichnen an der Fachrichtung Architektur der Technischen Hochschule Dresden.
  5. Im Jahr 1956 heiratete Heinze die Kostümbildnerin Erika Simmank; der Ehe entstammen zwei Söhne (* 1959, 1962).
  6. 297 Digitalisate der Puppentheatersammlung zu Gottfried Reinhardt.
  7. "Die Dresdener Gemeinde der russisch-orthodoxen Kirche ist besonders stolz auf ihren "Altvater", der auf diese Weise gebührende gesellschaftliche Anerkennung für sein Schaffen erfährt." In: "Ehrung von Protodiakon Gottfried Reinhardt" auf der Webseite der russisch-orthodoxen „Kirche des Heiligen Simeon vom wunderbaren Berge“ (17. Oktober 2011).
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