Der Einsiedler bei Dippoldiswalde

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Der Einsiedler bei Dippoldiswalde ist eine Sage über die Zeit um 933/960, die u. a. von Ernst Widar Amadeus Ziehnert in "Sachsen’s Volkssagen" aufgezeichnet wurde:

"[187] 21. Der Einsiedler bei Dippoldiswalde."

"[188] In der Dippoldiswalder Heide, eine halbe Stunde nördlich von der Stadt, steht ein großer Sandsteinfelsen mit einer wenig bedeutenden Höhle, welcher der Einsiedler heißt. Die auf demselben befindlichen Spuren von Gemäuer heißt die Dippoldsklause, und der nahe Quell der Einsiedlerbrunnen. Ohnweit davon stehen die Trümmer einer alten Kapelle. Die Sage selbst beginnt in den letzten Regierungsjahren Kaiser Heinrichs I., des Finklers, etwa um 933, und endet um 960. Der in derselben erwähnte Boleslav ist Boleslav II., der Fromme, welcher, seit 967 Herzog von Böhmen, 971 das Christenthum in Böhmen einführte, das Erzbisthum Prag und mehrere Kirchen stiftete.

[189]

Müde, nur der Welt zu leben,

barg zu Kaiser Heinrichs Zeit

sich der alte fromme Dippold

in des Waldes Einsamkeit.

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Eine Klause ward die Stätte

seines Wohnens und sein Bette

dürres Moos und Farrenkraut,

Früchte dienten ihm zu Speise,

die nach frommer Klausner Weise

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er im Gärtchen sich erbaut.

Rings vor seiner Felsenklause

hatte sich der fromme Greis

eingezäunt ein kleines Gärtchen

und bebaut mit regem Fleiß.

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Drinnen zog er süße Beeren,

weiße Rüben, rothe Möhren,

sorglich gärtnernd, und begoß

sie aus dem krystallnen Quelle,

dessen schmale Silberwelle

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längst am Zaun vorüberfloß.

Auch vergaß er nie die größ’re

Pflicht getreulich zu verseh’n,

und an die geweihte Stätte

täglich zum Gebet zu geh’n.

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Nahe seiner Felsenzelle

stand im Walde die Kapelle

der hochheil’gen Barbara,

wo der Klausner voller Freuden

treulich die Obliegenheiten

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eines Kapellan versah.

[190]

Wandrer, die den Wald durchzogen,

sprachen bei Dippolden ein,

ließen sich von ihm mit Freuden

für die Christuslehre weih’n.

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Denn in ungeschminkter Klarheit

floß die heil’ge Gotteswahrheit

von des frommen Greises Mund,

und was ihm die Lippe wehrte,

gab des Lehrenden Geberde

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und sein Blick dem Schüler kund.

Keiner durfte ungetröstet,

keiner zweifelnd von ihm zieh’n,

alle dankten ihm mit Thränen,

segneten und priesen ihn,

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trugen mit entzücktem Munde

von dem frommen Greis die Kunde

fernhin in das Böhmerland;

auch des Herzogs edlem Sohne,

Erben einst der böhm’schen Krone,

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ward des Klausners Lob bekannt.

Längst schon war der bied’re Jüngling

allem Götzenopfer feind,

und der heil’gen Christuslehre,

wie er solche kannte, freund.

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Jetzt, als er von Pilgern hörte,

wie und wo der Klausner lehrte,

hatt’ er nimmer länger Ruh,

schied vom väterlichen Schlosse

still, und ritt auf schnellem Rosse

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stracks nach Dippolds Haide zu.

[191]

Nach drei Tagereisen kam er

bei der Felsenklause an;

jätend kniet’ in seinem Gärtchen

just der alte fromme Mann,

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doch als er den Fremdling nahe

vor dem Zaune halten sahe,

stand er eilends auf, und sprach:

„Edler Ritter, seyd gegrüßet,

und so’s euch gefällt, genießet

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bei mir einen Ruhetag.“


Boleslav ¹) – so hieß der Böhme –

stieg vom Rosse flink, und band

es am Pförtchen fest, und reichte

ihm zum Gegengruß die Hand:

75

„„Ja, gern will ich bei euch rasten,

und ihr werdet von den Lasten

banger Zweifel mich befrei’n;

von euch will ich all’ die Lehren

eures heil’gen Jesu hören,

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und ein frommer Schüler seyn!““

Freudig glänzte Dippolds Auge:

„Heil euch, Heil! wer ihr auch seyd,

euer guter Engel führte

euch in diese Einsamkeit.

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Kommt, ihr sollt den Gott erkennen,

den wir Christen Vater nennen,

sollt euch des Erlösers freu’n.

Kommt!“ Mit freudig raschem Schritte

führte Dippold in die Hütte

90

seinen neuen Schüler ein.

[192]

Stundenlang oft saßen Beide

in der Laube frischem Grün;

B oleslav ließ keine Lehre

spurlos seinem Ohr entflieh’n.

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Alles schien nach seinem Meinen

ihm genehm, und hatt’ er keinen

Zweifel jemals sich erlaubt;

aber bei der großen Lehre,

daß sich rächen Sünde wäre,

100

schüttelt’ er sein lockigt Haupt.

„„Aber seht, ehrwürd’ger Vater,

– unterbrach er sanft den Greis –

warum, wenn ich Böses sehe,

wird’s im Herzen mir so heiß?

105

Warum soll ich mit dem Schlechten,

wenn ich besser bin, nicht rechten?

Habt ihr mir doch selbst gesagt:

Wehe, wer durch Uebelthaten

seinem Nächsten Leid und Schaden

110

boshaft zuzufügen wagt!““


„Weh dem Bösen! – rief der Klausner –

weh ihm, wehe! Aber wißt,

daß, das Rächeramt zu üben,

ein Alleinrecht Gottes ist!

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Kann der Mensch ja nie auf Erden

allen Makels ledig werden,

daß er könnte Richter seyn;

darum soll er ohne Klagen

seines Nächsten Fehler tragen,

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und den Irrenden verzeih’n.“

[193]

„Doch genug jetzt! Zur Kapelle

ruft mich meine heil’ge Pflicht.

Gießt indeß die Rübenbeete,

auch versäumt das Jäten nicht!“

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Rasch, als ob er Eile habe,

griff der Greis zu seinem Stabe,

eilte in den Wald hinein,

Boleslav ging mit den Kannen

an den Quell. Die Wässer rannen

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lustig über Stock und Stein.


„Gutes Brünnlein, bist der Reinheit

und der Freiheit treues Bild,

ein Crystall ist jeder Tropfen,

der aus deiner Tiefe quillt!

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Ob dich Steine rings umdrängen,

und dein Kieselbett verengen,

suchst dich friedlich zu befrei’n;

rächst dich nicht an diesen Steinen,

ja du wäschst sie noch mit deinen

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klaren Wellen hell und rein!“

Tiefbewegt in inn’rer Seele

schöpft er seine Kannen voll,

und begießt die Rübenbeete,

hackt und jätet, was er soll;

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und wie Alles ist vollendet,

tritt er an den Zaun, und wendet

seine Blicke auf den Quell.

Lange schaut er in die Wässer –

seines Zweifels Nacht wird blässer

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und Erkenntniß dämmert hell.

[194]

Nur der Fichten Wipfel glühten

noch im goldnen Abendschein;

immer schaute noch der Jüngling

sinnend in den Quell hinein.

155

Immer sanfter, immer milder

lächelten der Zukunft Bilder

aus dem Quell in seinen Blick,

da vernahm er nahe Tritte;

durch der Fichten dunkle Mitte

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kam der fromme Greis zurück.

Wohlzufrieden flog sein Auge

durch der Beete saubern Kreis,

und mit freudigmildem Blicke

lobt’ er seines Schülers Fleiß,

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brach zum Nachtmahl dann die besten

reifsten Aepfel von den Aesten,

pflückte Schoten noch dazu,

und als solches war genossen,

und die Gartenthür verschlossen,

170

gingen Beide still zur Ruh.

Mitternacht war schon vorüber;

auf der Lagerstatt von Moos

schliefen, noch im ersten Schlafe,

Beide sanft und sorgenlos.

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Da ward’s draußen plötzlich rege,

just, als ob der Zaun zerbräche,

und der Klausner wurde wach.

Aengstlich lauscht’ er, was es werde –

still war Alles, und er hörte

180

nur ein tiefes dumpfes Ach.

[195]

Rüttelnd weckt er seinen Schüler,

und erzählt, was er gehört;

aufspringt Boleslav, und zündet

rasch das Windlicht, und bewehrt

185

sich mit seinem Schwert. Drauf gehen,

um zu seh’n, was wohl geschehen,

Beide in des Gärtchens Flur;

unter einem Apfelbaume

lag auf blutgetränktem Raume

190

eine menschliche Figur.

Dippold bebt. Der Jüngling leuchtet

mit dem Lichte näher hin:

„„Ha, ein Dieb! Seht da, das Körbchen!

die gestohl’nen Aepfel drin!

195

Seht, wie da die Aeste liegen!

Der ist auf den Baum gestiegen,

und wohl hoch herabgestürzt.

Wimm’re, sollst nicht lange wimmern!

Will den Schädel dir zertrümmern,

200

daß dein Leiden sich verkürzt!““

Zornig zuckt er mit dem Schwerte,

doch der greise Klausner hält

ihm den Arm: „Halt ein, Verwegner!

Bist zum Richter du bestellt? –

205

Weg das Schwert, und laßt uns eilen,

daß wir ihn vielleicht noch heilen!

Faßt ihn nur behutsam an!“

Boleslav gehorcht. Sie schlagen

in die Mäntel ihn, und tragen

210

in die Klause ihn hinan.

[196]

Dippold wäscht ihm seine Wunden,

legt ihm Spinnewebe drauf,

und der Kranke regt sich wieder,

schlägt die stieren Augen auf.

215

Boleslav, der nie an Dieben

solche Großmuth sahe üben,

schüttelte sein lockigt Haupt,

und begann: „„Könnt ihr verwetten,

daß der, den wir heute retten,

220

nicht schon morgen wieder raubt?““

Strafend da mit finsterm Auge

sprach der Greis: „Das weiß ich nicht!

Aber wär’s auch; ihm zu helfen,

das ist heute meine Pflicht!

225

Ein Gebot ist uns geschrieben,

Großmuth auch am Feind zu üben,

wie sie Christus einst geübt!

Alle Menschen sind ja Brüder.

Darum, so frag’ niemals wieder,

230

wenn ihr irgend mich noch liebt!“

Durch das ernste Wort erschüttert,

schweigt der Jüngling still dazu,

und begiebt sich, da der Klausner

sein nicht mehr bedarf, zur Ruh.

235

Aber Dippold wacht mit Sorgen

bei dem Kranken bis zum Morgen,

hülfreich stets um ihn bemüht,

so daß früh vom Schlaf ermuntert

Boleslav ihn hochverwundert

240

noch bei selbem sitzen sieht.

[197]

Da erwachte auch der Kranke,

wie aus langem Todesschlaf,

und erschrack in tiefster Seele,

als sein Blick den Klausner traf.

245

Lange lag er ohne Regen,

bis er, über sein Vermögen

hastig, auf vom Lager sprang,

und, vom Ungestüm der Schmerzen

und der Scham zerknirscht im Herzen,

250

schluchzend Dippolds Knie umschlang.

Doch er hob ihn auf voll Güte,

und begann: „Was du gethan,

rechne dir’s der Herr des Himmels

im Gericht dereinst nicht an.

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Wasche dich von deinen Sünden,

daß du Gnade mögest finden!“

So der Greis mit ernstem Ton,

Als ob’s ihm das Herz zerreiße,

stand der Sünder vor dem Greise,

260

und zerknirscht ging er davon.

Da ergreift’s den Jüngling plötzlich,

wie mit himmlischer Gewalt,

auf die Kniee stürzt er nieder

vor des Greises Hochgestalt:

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„Tauft mich, Vater! hört mein Flehen!

tauft mich! Jetzt hab’ ich gesehen,

wie’s so schön ist zu verzeih’n!

Tauft mich! Gern will ich versprechen,

nur durch Liebe mich zu rächen;

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weiht mich, Vater, weiht mich ein!“

[198]

Dippold preßt mit feuchtem Auge

seinen Schüler an die Brust;

der Triumph des Glaubens ist ja

seinem Herzen Himmelslust.

275

Freudig tauft’ er ihn am Quelle,

führt’ ihn dann in die Kapelle,

und noch manches fromme Wort,

gab er ihm mit auf die Reise.

Reich im Herzen ritt vom Greise

280

Tags darauf der Jüngling fort.


Viele fromme Wandrer sprachen

bei dem greisen Klausner ein.

ließen sich an seinem Quelle

für die neue Lehre weih’n,

285

bauten in des Waldes Mitten

nah der Klausnerei sich Hütten,

und so allgemach entstand

eine Stadt, die frommer Weise,

zum Gedächtniß jenem Greise,

290

Dippoldswalde ward genannt.

Zitiert nach: Ernst Widar Amadeus Ziehnert: "Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden." 1. Auflage, Verlag: Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Band 2, S. 187–198.

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