Judenlager Hellerberg

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Infotafel am Hammerweg

Das „Judenlager Hellerberg“ in der heutigen Radeburger Straße diente von Ende November 1942 bis Ende Februar 1943 zur Internierung der letzten noch in Dresden verbliebenen Juden, die Im Goehle-Werk der Zeiss Ikon AG Zwangsarbeit leisten mussten.

[Bearbeiten] Vorgeschichte

Bereits im Dezember 1941 versuchte die Dresdner NSDAP-Kreisleitung zu erreichen, dass die Nutzung von Straßenbahnen für Juden grundsätzlich verboten werden sollte. Ausnahmen sollte es nur für die noch in Dresden verbliebenen, im Goehle-Werk arbeitenden Juden geben, für die bereits die sogenannte "Gelbe Straßenbahn" eingerichtet war.
Ende März 1943 kam dann eine reichsweite Regelung dem zuvor, die das generelle Verbot der Benutzung sämtlicher öffentlicher Verkehrsmittel für Juden vorsah. Die besagte Ausnahmeregelung würde nur bei einem Fußweg zum Arbeitsplatz von mehr als sieben Kilometern greifen. Für fast alle im Goehle-Werk tätigen Zwangsarbeiter traf dies nicht zu. Nun mussten die jüdischen Arbeiter zu ihrer Arbeitsstätte laufen, denn der Betrieb der „Gelben Bahn" wurde zum 1. Mai 1942 eingestellt.
 Daraufhin ließ die jüdische Gemeindeverwaltung in einer Reihenuntersuchung der Zwangsarbeiter deren „Marschtauglichkeit" feststellen. Daraufhin wurden „zur Sicherstellung der Arbeitseinsatzfähigkeit insgesamt 90 Sonderausweise ausgegeben“*, deren Besitzer nun gezwungen waren, mit der normalen Straßenbahn zu fahren. Dies bedeutete, aus Sicht der Kreisleitung, erhebliche Probleme, denn „es hat hierdurch, dass sie in unmittelbare Berührung mit Ariern gekommen sind, wiederholt Schwierigkeiten gegeben. Es ist auch nicht ausgeblieben, dass sich Arier mit Juden unterhalten haben und für diese Partei ergriffen. Hierdurch ist eine gewisse Verkehrsunsicherheit eingetreten."* 
Hinzu kam, aus Sicht der Konzernleitung der Zeiss Ikon AG, „dass die nahezu zwei Drittel der morgens zu Fuß zum Arbeitseinsatz kommenden Juden erschöpft waren“*. Daher strebten alle Beteiligten eine „zentrale Kasernierung der Juden, möglichst in Werksnähe“* an.


Neben dieser für die Konzernleitung günstigen Lösung hatte die Einrichtung des Lagers noch mehrere Vorteile: erstens hatte die Gestapo eine optimale Überwachungsmöglichkeit, zweitens kam der Kreisleitung die vermeintlich notwendige Isolierung der Juden von der „arischen" Bevölkerung entgegen, und drittens hatte die Kreisleitung damit Zugriffsmöglichkeiten auf die Wohnungen der jüdischen Zwangsarbeiter.

[Bearbeiten] Planung und Einrichtung des Lagers

Am 10. November 1942 fand ein Vorbereitungstreffen der Beteiligten statt. An diesem Treffen nahmen teil: als Vertreter der Zeiss lkon AG der Betriebsleiter des Goehle-Werkes Wilhelm Stoffers, sein Stellvertreter Karl Nitsche, der Abteilungsleiter Optik Friedrich Hempel sowie Werner Rieß als Korrespondent. Für die Geschäftsleitung war Johannes Hasdenteufel zugegen, der zugleich „Abwehrbeauftragter" und Leiter des Ingenieurbüros des Konzerns war und das Protokoll führte.


Die Gestapo war vertreten durch Kommissar Schmidt und Obersekretär Müller, die Kreisleitung der NSDAP durch Herr Köhler.
 Aus dem erhalten gebliebenen Protokoll geht hervor, dass es bei dieser Besprechung nur noch um Details wie den Einzug, die Ernährung, die Finanzierung und Bewachung ging. Die Zeiss Ikon AG stellte ihr Materiallager an der heutigen Radeburger Straße, damals Dr.-Todt-Straße, knapp außerhalb der Dresdner Stadtgrenze, zur Verfügung. Es wurde aufgrund von Materialknappheit keine neuen Baracken errichtet. Alle notwendigen Einrichtungsgegenstände wurden vom Konzern gestellt, die Insassen des Lagers sollten den notwendigen Hausrat und Büroeinrichtungen mitbringen. Es war geplant, das Lager von den Insassen selbst verwalten zu lassen. Es wurden ein Lagerältester, ein Verwaltungssachbearbeiter und eine Köchin benannt. Die Lagerinsassen sollten einen Mietpreis von 0,60 RM pro Kopf und Tag an die Zeiss lkon AG entrichten. Der Konzern beglich mit diesem Betrag unter anderem die Pacht an die Landesforstverwaltung. Lebensmittel, die der Konzern bereitstellte, wurden zum Monatsende zusätzlich in Rechnung gestellt.


Mit Dr. Katz gab es einen medizinischen Betreuer. Für die Bewachung des Lagers sowie die Einhaltung der Ausgangszeiten sorgte die Wach- und Schließgesellschaft Dresden.
 Durch die Kreisleitung wurde „grundsätzlich festgelegt, dass die als Lagerinsassen zugewiesenen Juden auch dann im Lager verbleiben und wirtschaftlich betreut werden, wenn sie nicht mehr bei Zeiss lkon beschäftigt sind und zwar bis zum Zeitpunkt des Abtransportes. Es steht der Gestapo frei, unbelegte Plätze im Lager mit Juden zu belegen, die nicht bei Zeiss lkon beschäftigt sind.“* Das Lager sollte ab Montag, den 23. November 1942 voll genutzt werden.

[Bearbeiten] Einzug in das Lager Hellerberg


Die Jüdische Gemeinde wurde gezwungen, der Gestapo eine Liste der ins Lager zu verbringenden Juden zu erstellen, diese wurde anschließend mit der polizeilichen „Judenkartei" abgeglichen. Dann wurde den 279 Betroffenen durch die Gestapo mitgeteilt, sie hätten sich am 23. November 1942 an der „Städtischen Entseuchungs-Anstalt" in der Fabrikstraße 6 einzufinden. 

„In seiner Vernehmung am 29. Dezember 1986 erinnerte sich der Gestapokommissar Schmidt, dass bereits auf der Besprechung vom 10. November 1942 die Geheime Staatspolizei die Aufgabe übernahm, für eine Desinfektion der künftigen Lagerinsassen zu sorgen, „um das eventuelle Einschleppen von Ungeziefer im Lager zu unterbinden". 
Im zweiten Halbjahr 1941 hatte das Städtische Gesundheitsamt eine besorgniserregende Zahl von Infektionskrankheiten verzeichnet und in Rundschreiben an alle Ärzte der Stadt verlangt, alle bekanntwerdenden Fälle zu melden. Die Zahl der an spinaler Kinderlähmung und Paratyphus Erkrankten betrug damals mehrere hundert Personen. In Dresden herrschte also eine gewisse Sensibilität in Bezug auf vorbeugende Hygienemaßnahmen."*
Dies war der Grund für die aus Sicht der Kreisleitung vor dem Bezug des Lagers notwendige „Desinfektion“ der Betroffenen.
Diese Maßnahme zog sich dann bis zum 24. November hin, denn aufgrund der Menge der Menschen konnte die „Desinfektion“ nur in Etappen durchgeführt werden.
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Nicht die Desinfektion an sich, wohl aber die Art und Weise der Durchführung und im besonderen die Tatsache, dass die Menschen dabei gefilmt wurden, bezeichnet den entwürdigenden Charakter dieser Aktion. Der gesamte „Umzug" wurde damals von dem Angestellten der Zeiss lkon AG, Erich Höhne, aufgenommen. Dieser Film ist bisher die einzige zeitgenössische Quelle zur unmittelbaren Einrichtung des 'Judenlagers Hellerberg'.
 Die wenigen Überlebenden berichten in ihren Erinnerungen nur kurz über diesen Einzug und das Leben im Lager. In ihrer Verfolgungsgeschichte gab es einschneidendere Zäsuren. Die Deportation nach Auschwitz, die Ankunft in Birkenau und der Verlust von Freunden und Familienangehörigen prägten weit mehr ihr Gedächtnis als der nur etwa drei Monate währende Aufenthalt im Lager am Hellerberg.
“*
Nachdem nun also Ende November 1942 die letzten Juden in Dresden in das Lager am Hellerberg verlegt worden waren, galt die Stadt aus Sicht der Kreisleitung praktisch als „judenrein", denn das Lager befand sich knapp außerhalb der Stadtgrenze.



[Bearbeiten] Alltag im Lager und Zwangsarbeit der Insassen

Siegmund Selig Lehner wurde von der Gestapo zum Lagerältesten ernannt, Elias Lichtenstein wurde technischer Verwalter.

„Das Lager befand sich an der heutigen Radeburger Straße (damals Dr.-Todt-Straße) in einer Sandgrube oberhalb des St. Pauli Friedhofes jenseits des Hammerweges, etwa in Höhe der Einmündung Weinbergstraße.
 Es bestand aus insgesamt sieben Baracken, sechs Unterkunfts- und einer Gemeinschaftsbaracke.
In den drei Räumen einer Unterkunftsbaracke waren je etwa 16 Personen untergebracht. Ledige Männer und Frauen wohnten getrennt, Ehepaare zusammen. Kinder ab vier Jahren mussten nach Geschlechtern getrennt alleine wohnen. Neben einem gemeinsamen Essraum und zwei großen Wasch- bzw. Baderäumen, einer Krankenstation mit Isoliermöglichkeit wurde auch eine Schneiderei, eine Schuhmacherei sowie eine Friseurstube eingerichtet.
Das Lager war nicht umzäunt, aber zur Regelung der Zugangsmöglichkeiten war ein Posten eingerichtet worden. Nach den Festlegungen des Besprechungsprotokolls vom 10. November wurde dessen Bezahlung mit dem Mietpreis abgegolten. Eine Dresdner „Wach- und Schließgesellschaft" stellte das Personal. 

Die Gestapo kam nur sehr selten ins Lager. Der private Posten überwachte die Ausgeh- und Sperrzeiten, die für das Lager festgelegt worden waren. Verließen die Arbeiter das Gelände routinemäßig zur Früh- und Spätschicht, so wurden für dringende Arztbesuche und Verwaltungsgänge Passierscheine von der Lagerleitung ausgegeben.
Die Verhältnisse im Lager werden von den Überlebenden als relativ erträglich beschrieben; die Anlage sei im großen und ganzen sauber gewesen, zur Lagerwache habe man in kurzer Zeit ein freundschaftliches Verhältnis entwickeln können. Ausschlaggebend war aber auch, dass man sich in der Abgeschiedenheit des Lagers vor den so gefürchteten Haussuchungen der Gestapo sicher fühlen konnte. „Wir hatten uns im Lager eigentlich sehr gut vertragen. Es waren wenig Krankheiten und nur ein Toter in der ganzen Zeit. [...] Ich wünschte, man hätte uns bis Kriegsende dort gelassen. Alle würden noch leben."
 Diese Erinnerung an das Lagerleben ist nicht verwunderlich. Für die wenigen Menschen, die die anschließende Deportation nach Auschwitz überlebt haben, musste sich das Lager Hellerberg als vergleichsweise erträglicher Ort darstellen. Die Verhältnisse waren persönlicher, die Arbeit inzwischen gewohnt, die Familie blieb zusammen, und die Bewachung verhielt sich zumeist freundlich.
Victor Klemperer, dem das Lager erspart blieb, urteilte nach den ersten Nachrichten zunächst sehr pessimistisch: „Alles in allem also Gefangenschaft und qualvolles Vegetieren.“ 
Nur wenige Tage später, als der Romanist über weitere Neuigkeiten verfügte, begann er seine bisherigen Informationen über das Schicksal der Juden zu ordnen und geriet ins Reflektieren: „Die Leute in der Gemeinde scheinen darauf abgestimmt, scheinen [...] eine verschworene Gemeinschaft zu sein, das Lagerleben als glimpflich hinzustellen. Es sei erträglich, einige gewöhnten sich rascher, einige sich langsamer um. Es klingt so, als wenn die Unzufriedenen verwöhnte und undankbare Geschöpfe wären. [...] Das Gros der Lagerinsassen ist doch streng gefangen, erhält spärlichsten Stadturlaub, hockt immer aufs engste beisammen usw. usw. Es ist gar zu jämmerlich, dass diese Gefangenschaft schon als ein halbes Glück gilt. Es ist nicht Polen, es ist nicht das KZ! Man wird nicht ganz satt, aber man verhungert nicht. Man ist noch nicht geprügelt worden.“

Fast alle Lagerinsassen arbeiteten in zwei Schichten im nahe gelegenen Goehle-Werk in der Heidestraße 4. Nach einem Fußmarsch von 20 Minuten erreichte man die Werkhallen. Im Lager blieben neben der Ruheschicht in der Regel ungefähr 20 Personen zurück, die entweder zu jung oder zeitweise nicht arbeitsfähig waren. Der Konzern hatte sich auf die Entwicklung und Produktion von optischen und feinmechanischen Geräten spezialisiert.
 Seit 1940 wurden im Dresdner Werk vorwiegend Zeitzünder mit Präzisionsverzögerern zusammengebaut. Diese waren Bestandteil der Torpedobewaffnung deutscher U-Boote. Eine zweite ebenso kriegswichtige Produktion war die Entwicklung von Bombenzielanlagen für die Luftwaffe. Bei beiden Produktionen waren Dresdner Juden eingesetzt, die in der Regel die mechanische Feinarbeit bei der Montierung der Gerätschaften zu leisten hatten.
Die Atmosphäre bei der Arbeit war daher sehr ruhig und konzentriert. Es war für den einzelnen kaum notwendig, den Arbeitsplatz zu verlassen. Die Vorarbeiter und Meister waren in der Regel nur daran interessiert, eine hohe Stückzahl je Schicht ausstoßen zu können sowie den Ausschuss niedrig zu halten. Die Arbeit war also körperlich leicht, jedoch 
wegen der notwendigen Konzentration sehr anstrengend. Diskriminierend waren die Arbeitsumstände im Werk. Die „Judenabteilung" befand sich im Obergeschoss des Fabrikgebäudes. Der Aufgang war durch einen Maschendraht geteilt, um den direkten Kontakt mit den „arischen" Belegschaftsmitgliedern zu verhindern. Das Betreten der Kantine war verboten, jeder arbeitende Jude hatte eine gelbe Armbinde zu tragen. Bei Fliegeralarm durften „Nicht-Arier" nicht mit in die Luftschutzräume.

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[Bearbeiten] Das Ende des Lagers und die Deportation

Am 27. Februar 1943 wurden sämtliche Insassen in den frühen Morgenstunden, noch vor der Frühschicht, verhaftet. Der Lagerbereich zum „Polizeihaftlager" erklärt, mit einem geschlossenen Zaun versehen und von Bereitschaftspolizei bewacht. Die wenigen Angestellten der jüdischen Gemeinde, die bisher noch außerhalb des Lagers wohnten, wurden ebenfalls festgenommen und in das Lager gebracht.
 Bis zum 2. März kamen weitere, für die Deportation bestimmt Juden aus Erfurt, Halle, Leipzig, Plauen und Chemnitz hinzu, wodurch das Lager immer mehr zu einem überregionalen Sammellager wurde. 

Am Abend des 2. März 1943 begann dann die Räumung des „Judenlagers Hellerberg".
„Sämtliche Gefangenen, darunter 293 Dresdner, mussten auf LKWs der örtlichen Schutzpolizei steigen; unter Bewachung fuhr man zum Güterbahnhof Dresden-Neustadt. Von dort ging der Transport in den frühen Morgenstunden des 3. März in Richtung Auschwitz. Als einzige blieb die damals knapp zwanzigjährige Fella Feiga Drut im Lager zurück. Sie war schwanger geworden und wurde deshalb kurzfristig von der Deportation zurückgestellt. Im Lager blieben auch die erst Tage zuvor eingewiesenen über 65 Jahre alten Juden aus Chemnitz, Halle, Leipzig und Plauen. Der Transport mit den Dresdner Juden muss jedoch nach der Rekonstruktion aus den überlieferten Dokumenten im Archiv von Auschwitz viel mehr Menschen umfasst haben. Da zur gleichen Zeit sowohl aus Berlin als auch aus Westfalen je ein größerer Transport nach Auschwitz abging, muss davon ausgegangen werden, dass der am Abend des 3. März ankommende Transport aus ca. 1500 Menschen bestand."* 

In den ca. vier bis sechs leeren Güterwaggons, in welche die Menschen aus dem Lager gepfercht wurden, befanden sich Joseph Fränkel und seine Frau Ida Fränkel, geb. Steinhart sowie deren Schwester Rosa und ihr Schwager Walter Steinhart. Zudem noch eine weitere, entfernte Verwandte von Ida und Joseph Fränkel, die 33 Jahre alte Sonja Steinhart mit ihren beiden Kindern Gert und Marion, sechs und zwölf Jahre alt. Auch Marie Roy wurde mit diesem Transport deportiert.
Aus dem aus Dresden kommenden Transport wurden von etwa 1500 Ankommenden 680 Personen (535 Männer und lediglich 145 Frauen) ins Lager eingewiesen, die anderen etwa 820 Menschen wurden sofort vergast.

[Bearbeiten] Gedenken

Bis etwa Anfang der 1990er Jahre war das Judenlager Hellerberge quasi aus dem öffentlichen Gedächtnis der Stadt Dresden verschwunden, der Opfer wurde nicht gedacht.[1] Im Rahmen des Projektes "Weg der Erinnerung" brachte die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit eine Informationstafel an, zunächst am ursprünglichen Standort des Lagers (als dieser noch frei zugänglich war), später ein Stück stadteinwärts am Abzweig Hammerweg.

[Bearbeiten] Quellen

  1. Hildegart Stellmacher, Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dresden. In: Come together - Dresden und der 13. Februar. Dokumentarfilm von Barbara Lubich. Dresden 2012.

[Bearbeiten] Weblinks

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